OrganisationsentwicklungSelbstorganisation und neue Kooperationsmodelle Future of work

Selbstorganisation braucht Mut zum Austausch

Selbstorganisation und neue Kooperationsmodelle Future of work

von Teresa Mele

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«Es werde Selbstorganisation!» Leider funktioniert das selten. Die Kooperationsmodelle der Zukunft erfordern ein neues Denken. Selbstorganisation geht nur mit Einladung. Und einmal auf der Party, tragen alle Mitverantwortung: Bereitschaft und Kreativität zur Definition neuer Rollen sind gefragt.

Die Digitalisierung verändert die Art und Weise, wie wir miteinander kooperieren, kommunizieren und einander vertrauen, so Prof. Dr. Olaf Geramanis. In diesem Zusammenhang taucht immer wieder das Thema Selbstorganisation auf. Von ihr versprechen wir uns einiges: schnelle Reaktionszeiten, gleicher Partizipationsgrad für alle, automatisch motivierte Mitarbeitende sowie die komplette Abschaffung von hierarchiegeprägten Führungsstrukturen.

Aber: Organisationen, die bereits selbstorganisierte Arbeitsweisen implementiert haben, erleben, dass es nicht so einfach ist. Weshalb ist das so? Haben diese Organisationen irgendetwas falsch gemacht? Oder überfordert uns diese neue Art von Kooperation und muss erst noch besser verstanden und erlernt werden?

Die Change-Tagung 2020 «Der Mensch in der Selbstorganisation» erschien mir eine spannende Plattform, um mit «Gleichsuchenden» dieses neue Kooperationsmodell Selbstorganisation aus diversen Perspektiven zu beleuchten. Unter anderem durfte ich einem Panel-Vortrag von Frau Prof. Dr. Stephanie Kaudela-Baum folgen. Sie hat uns Ansatzpunkte mitgegeben, wie sich eine Organisation in die Selbstorganisation führen lässt. Diese möchte ich zusammengefasst mit euch teilen sowie punktuell mit eigenen Erfahrungen und Ideen ergänzen.

Mitarbeitende einladen, Handlungsfreiräume zu nutzen

«Invitation-based-mangement» lautet der wissenschaftliche Begriff für den Nährboden von Selbstorganisation. Nur wenn die Mitarbeitenden eingeladen – und nicht gezwungen – werden, neue Räume zu betreten, können Bedingungen für die Entwicklung selbstorganisierter Systeme geschaffen werden. Wird die Einladung freiwillig und bewusst angenommen, heisst dies für dich, dass deine Mitarbeitenden bereit sind. Bereit, den Weg in autonome Formen des Arbeitens mit dir zu gehen. Gemeinsam habt ihr so den ersten Schritt geschafft, herzliche Gratulation!

So weit so gut – aber was, wenn die Mitarbeitenden die Einladung nicht annehmen? Dann gratuliere ich dir genauso. In diesem Fall hast du bewiesen, dass du eine Einladung ausgesprochen hast – und so deinerseits bereits vieles richtig gemacht hast. Dass überhaupt ein «nein» ausgesprochen wird, könnte ein Zeichen für eine Organisationskultur sein, in welcher jeder den eigenen Standpunkt einnehmen und den eigenen Prinzipien und Werten folgen darf. Was bereits einem wichtigen Element der wirksamen Gestaltung von Selbstorganisation entspricht.

Und genauso ist die Ablehnung der Einladung wertzuschätzen. Sie signalisiert ein «Wir sind nicht bereit den Weg, der uns vorgeschlagen wird, zu gehen.» Es liegt nun an dir, zu entscheiden, was du mit diesem «nein» anfangen willst. Gelingt es dir, dieses «nein» als ein Kooperationsangebot anzusehen, so liegt ein grosses Potential für die gemeinsame Entwicklung neuer Ideen und Lösungen vor. Ich lade dich ein, dieses Angebot anzunehmen.

Erste mögliche Schritte könnten sein:

    1. Frage nach den Gründen für dieses «nein».
    1. Frage die Eingeladenen (oder bilde eine hierarchie- und bereichsübergreifende Referenzgruppe) was ihnen an deiner Einladung gefällt, was weniger.
    1. Lade sie ein, gemeinsam eine «neue Einladung» zu entwerfen, sodass sie sich am Gestaltungsprozess beteiligen können.
    1. Und last, but not least: Sei als «Change-Treiber» nahbar, schaffe Platz für Emotionen und teile deine eigenen High- sowie Lowlights.

Konsent-Entscheidungen einführen

Als weiterer Ansatzpunkt gilt das Einführen von Konsent-Entscheidungen. Der Konsent ist die Form, wie Entscheidungen getroffen werden. Sie umfasst grob folgende Aspekte:

    1. Entscheidungen werden von einer Person getroffen, welche sich dafür Informationen von allen „relevanten Beteiligten“ holt.
    1. Sollte jemand gegen die Entscheidung sein, dann kann er mit einem begründbaren und relevanten Einspruch während der Erarbeitungsphase seine Meinung einbringen. Grundsätzlich gilt: Wer nicht vollkommen dagegen ist, ist dafür.
    1. Der Entscheider übernimmt auch die Verantwortung für die Umsetzung. So werden Eigeninitiative und Eigenverantwortung gefördert.

Meine Erfahrung mit dem Einführen radikal neuer Entscheidungsformen ist oft eine grosse Verunsicherung und Überforderung. Meistens provoziert sie das Zurückfallen in alte Entscheidungsmuster. Wir finden es wichtig, neue Wege der Entscheidungsfindung auszuprobieren. Unseren Kunden empfehlen wir, die Veränderung spielerisch und Schritt für Schritt anzugehen. Zum Beispiel mit dem Einsatz des «Delegation Poker» (Jurgen Appelo). Dabei wird die Delegation von Aufgaben, Entscheidungen und Verantwortung im Team diskutiert und dadurch Transparenz über die Entscheidungsprozesse erzeugt. Das Delegationspoker ist sozusagen «Entscheidungen anders treffen für Anfänger». Aber wie sagt man so schön: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen…

Führung neu denken in der Selbstorganisation

In selbstorganisierten Systemen erhält Führung eine neue Bedeutung. Die Führung von morgen könnte gemäss Frau Prof. Dr. Kaudela folgendermassen aussehen:

Führung respektiert die Freiheit der Selbstbestimmung sowie der individuellen Selbstverwirklichung. Gleichzeitig aber sind Führungskräfte auch diejenigen, welche die Autonomie, die selbstorganisierende Systeme brauchen, eingrenzen. Sie sorgen für die Balance zwischen Autonomie und Kooperation.

Für uns ist klar, dass sich die Anforderungen an die Führungskräfte stark verändern. Die Skills, nach denen wir bis heute eingestellt, beurteilt und befördert haben, werden morgen nicht mehr (so) wichtig sein. Wie wir einen Vorschlag für neue HR-Rollen geschrieben haben, heisst es hier, gemeinsam neue Führungsrollen zu definieren und institutionalisieren. Dabei stellen auch wir uns folgende Fragen: Werden die zukünftigen Führungsrollen gar keine hierarchische Abhängigkeit mehr aufweisen – und sich ausschliesslich durch Verantwortlichkeiten und Entscheidungsräume unterscheiden? Wird die Führungskraft von morgen über Weisungsbefugnis verfügen? Und werden Beurteilungskompetenz sowie disziplinarische Führung noch Teil der Führungsrolle sein?

Fazit

Mut zum Austausch, zum Ausprobieren und Scheitern, zum gemeinsamen Lernen und zur auch unternehmensübergreifenden Kooperation – das ist mein Fazit aus der Change-Tagung zur Selbstorganisation.

Fange klein an – aber fange an!

    1. Frage gleich heute dein Team, wie sie sich die zukünftigen Arbeitsformen vorstellen – was sie an dieser Vorstellung erfreut, was sie dabei stört.
    1. Gehe mit deinen Mitarbeitenden auf eine Zukunftsreise und identifiziere gemeinsam mit ihnen die Skills, die euer Unternehmen in Zukunft brauchen wird.
    1. Bleibe «in Kontakt» mit deinen Mitarbeitenden – lade sie ein, kreativ Teil der Transformation zu sein. Schon Mal an einen «Gestaltungsraumpfleger» oder an eine «Sinnstifterin» gedacht?

Die digitale Transformation und die daraus resultierenden Arbeitsformen und -Rollen brauchen Raum für Diskussion und die gemeinsame Entwicklung von Ideen.
Willst du mitdiskutieren? Oder hast du eine konkrete Fragestellung zum Thema zukünftige Arbeitsformen, die du gerne mit einer Gruppe von engagierten «Gleichsuchenden» diskutieren willst? Falls du auch Mut zum Austausch und Interesse an der Zukunftsgestaltung hast, dann melde dich zu unserem nächsten Frühstück für Zukunftsgestalter: Neue Kooperationsmodelle

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